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Herz, Leber, Seele: Eine Reise durch die Geschichte der Organe zwischen Tod und Ewigkeit

Vor einem strukturierten, beigefarbenen Hintergrund stehen nebeneinander ein altägyptischer Kanopenkrug mit einem menschenähnlichen Deckel (Pharaonen-Stil mit Nemes-Kopftuch) und ein detailliertes, anatomisch korrektes menschliches Herz in Rottönen. Der Krug ist sandfarben mit blau-gelb gestreiftem Kopftuch. Das Herz zeigt Adern und die abgehenden großen Blutgefäße.

Okay, schnall dich an! Hast du dich jemals gefragt, was mit unseren Organen passiert, wenn wir... nun ja, nicht mehr sind? Klingt vielleicht erstmal makaber, aber bleib dran, denn die Antwort darauf ist eine absolut faszinierende Reise durch die Geschichte, durch Kulturen und tief in die menschliche Seele hinein! Es ist unglaublich, wie unterschiedlich Völker über Jahrtausende hinweg mit dem Innersten des menschlichen Körpers umgegangen sind – und was das über ihre tiefsten Überzeugungen zu Leben, Tod und dem, was danach kommt, verrät. Unsere Organe, diese stillen Helden des Alltags, wurden zu Hauptdarstellern in den großen Dramen von Jenseitsvorstellungen, ewiger Existenz und dem ewigen Kreislauf von Vergehen und Neuanfang. Lass uns gemeinsam eintauchen in eine Welt, in der Leber, Herz und Lunge nicht nur biologische Notwendigkeiten waren, sondern Schlüssel zur Ewigkeit, Orakel des Schicksals oder gar heilige Relikte.


Starten wir unsere Zeitreise im alten Ägypten, dem Land der Pyramiden und Pharaonen, wo der Glaube an ein Leben nach dem Tod allgegenwärtig und unglaublich ausgeprägt war. Für die Ägypter war klar: Das Jenseits ist real, aber der Eintritt will verdient und vor allem vorbereitet sein! Der Schlüssel dazu lag in der Erhaltung des Körpers. Die Mumifizierung war deshalb weit mehr als nur Einbalsamierung; es war ein hochkomplexes, rituelles Verfahren, das den Verstorbenen für die Ewigkeit transformieren sollte. Stell dir das mal vor: Ein ganzes Volk, das so fest an die Fortexistenz glaubt, dass es eine hochentwickelte Technik zur Körperkonservierung entwickelt! Im Zentrum dieses Prozesses stand die Eviszeration, die Entnahme der inneren Organe.


Drei antike ägyptische Einbalsamierer stehen in einem dunklen, von Fackellicht erhellten Raum. In der Mitte liegt ein Verstorbener auf einem steinernen Tisch, während einer der Männer sorgfältig die Organe aus dem geöffneten Bauchraum entnimmt. Neben dem Tisch stehen vier kunstvoll verzierte Kanopen mit Tierköpfen, bereit zur Aufnahme der Organe. Die Wände sind mit Hieroglyphen bedeckt, im Vordergrund liegt ein Papyrus. Die Szene wirkt realistisch, atmosphärisch dicht und vermittelt eindrucksvoll das spirituelle Handwerk der Mumifizierung.
Ägyptische Einbalsamierer bei der Arbeit

Durch einen kleinen Schnitt, meist linksseitig, wurden Lunge, Leber, Magen und Därme vorsichtig entfernt. Die Einbalsamierer waren wahre Meister darin, den Körper dabei möglichst intakt zu lassen. Interessanterweise ließ man die Nieren oft drin – vermutlich waren sie einfach zu schwer erreichbar. Und das Gehirn? Das galt als völlig unwichtig! Es wurde oft durch die Nase entfernt, manchmal verflüssigt und einfach entsorgt. Verrückt, oder? Für die Ägypter war nämlich das Herz der Sitz von allem: Intelligenz, Gefühl, Gedächtnis und Seele.


Die vier entnommenen Hauptorgane – Lunge, Leber, Magen und Därme – bekamen eine Sonderbehandlung. Sie wurden ebenfalls mit Natronsalz getrocknet, vielleicht gesalbt und sorgfältig in Leinenbinden gewickelt. Sie waren wichtig, denn man glaubte, der Verstorbene würde sie im Jenseits für seine Funktionen benötigen. Diese konservierten Organe wurden dann in speziellen Gefäßen aufbewahrt, den berühmten Kanopenkrügen. Jeder Krug stand unter dem Schutz eines der vier Söhne des Horus, mächtige Schutzgötter, die sicherstellen sollten, dass den Organen nichts geschieht. Die Gestaltung dieser Krüge entwickelte sich über die Jahrtausende: Von einfachen Deckeln im Alten Reich über menschenköpfige Darstellungen im Mittleren Reich bis hin zu den ikonischen Tier- bzw. Menschenköpfen der Horussöhne im Neuen Reich. Diese Krüge wurden oft in einer eigenen Truhe nahe dem Sarkophag im Grab platziert, manchmal sogar nach den Himmelsrichtungen ausgerichtet, die mit den jeweiligen Göttern verbunden waren. Was für eine ausgeklügelte Symbolik!


Hier ist eine Übersicht über die Kanopenkrüge und ihre Zuordnungen:

Organ

Horussohn

Kopfform

Schutzgöttin

Himmelsrichtung

Leber

Imset (Amset)

Mensch

Isis

Süden

Lunge

Hapi

Pavian

Nephthys

Norden

Magen

Duamutef

Schakal

Neith

Osten

Gedärme

Kebechsenuef

Falke

Selket

Westen


Diese detailverliebte Zuordnung von Göttern, Göttinnen und Himmelsrichtungen zu jedem Organ zeigt uns, wie tief der Glaube an eine kosmische Ordnung im ägyptischen Denken verankert war. Es ging nicht nur darum, den Körper zu erhalten, sondern auch darum, die Harmonie zwischen dem Mikrokosmos des Individuums und dem Makrokosmos des Universums zu wahren. Nur so war die Reise ins Jenseits erfolgreich zu meistern. Faszinierend ist auch, dass sich die Praxis ab etwa 1000 v. Chr. änderte: Die behandelten Organe wurden wieder in den Körper zurückgelegt, aber die Kanopenkrüge blieben als symbolische Beigaben erhalten, manchmal sogar massiv oder leer. Das zeigt, wie stark die rituelle Bedeutung war, selbst als die praktische Notwendigkeit vielleicht durch verbesserte Techniken schwand. Die aufwendige Mumifizierung war natürlich ein Privileg der Reichen; Ärmere mussten auf einfachere Methoden hoffen.


Und dann war da noch das Herz, das Ib. Es blieb als einziges wichtiges Organ bewusst im Körper zurück. Warum? Weil es für die Ägypter das absolute Zentrum des Seins war: Sitz von Verstand, Gefühl, Gedächtnis, Weisheit, Persönlichkeit – ja, der Seele selbst! Das Herz war der Speicher aller Taten eines Lebens. Und genau das wurde ihm beim berühmten Totengericht zum Verhängnis – oder zur Rettung. Stell dir die Szene vor: In der Halle der Zwei Wahrheiten, unter den Augen von Göttern wie Anubis und Thoth, wurde das Herz des Verstorbenen auf eine Waage gelegt. Auf der anderen Seite lag die Feder der Maat, Symbol für Wahrheit, Gerechtigkeit und kosmische Ordnung. War das Herz leicht, im Gleichgewicht mit der Feder, bedeutete dies ein rechtschaffenes Leben. Der Verstorbene wurde für "wahr an Stimme" erklärt und durfte ins paradiesische Binsengefilde einziehen. Aber wehe, das Herz war schwer, belastet von Sünden! Dann wurde es von der schrecklichen Ammit verschlungen – einer Kreatur, halb Krokodil, halb Löwe, halb Nilpferd – und das bedeutete den zweiten, endgültigen Tod, die Auslöschung. Um diesem Schicksal zu entgehen, legte man oft Herzskarabäen auf die Mumie, Amulette, die das Herz magisch daran hindern sollten, gegen seinen Besitzer auszusagen. Das zeigt eine faszinierende Mischung aus ethischem Anspruch und pragmatischer, magischer Absicherung!



Während die Ägypter diesen unglaublichen Aufwand betrieben, um Körper und Organe für die Ewigkeit zu rüsten, sah die Sache in anderen Hochkulturen ganz anders aus. In Mesopotamien zum Beispiel war die Vorstellung vom Jenseits, dem Kur oder Irkalla, ziemlich düster und hoffnungslos. Eine staubige Unterwelt ohne Wiederkehr, in der die Geister der Toten ein Schattendasein fristeten und auf Trankopfer der Lebenden angewiesen waren. Eine positive Wiedergeburt? Fehlanzeige.


Dementsprechend gab es auch keine aufwendigen Konservierungsmethoden für den Körper oder die Organe. Man bestattete die Toten, oft unter den Häusern oder auf Friedhöfen, legte ihnen aber durchaus Beigaben wie Nahrung und Werkzeuge bei. Interessanterweise hatten Organe hier eine ganz andere, aber ebenfalls zentrale Bedeutung: Sie waren der Schlüssel zur Weissagung! Vor allem die Leber von Opfertieren galt als Spiegel des göttlichen Willens. Die Leberschau war eine hochentwickelte Kunst. Auch hier galten Organe als Sitz von Emotionen und Intellekt, aber auf eine verteiltere Weise als in Ägypten:


  • Leber (Kabittu): Zentrales Organ, Sitz der Seele, Emotionen (Liebe, Glück), Intelligenz, Lebenskraft. Wichtig für Divination.

  • Herz (Libbu): Sitz des Intellekts/Verstandes, Denkens, Mutes, Willens. Manchmal auch für Emotionen.

  • Andere Organe: Magen (List), Uterus (Mitgefühl), Nieren (Ruhe), sogar Füße oder Knie wurden mit Gefühlen wie Wut oder Liebe assoziiert!


Dieser Fokus auf Divination statt Konservierung zeigt eine ganz andere Weltsicht: Es ging mehr darum, das Schicksal im Diesseits zu verstehen, als sich auf ein individuelles Jenseits vorzubereiten. Was meinst du dazu? Welche Vorstellung findest du faszinierender – die ägyptische Hoffnung auf ewiges Leben durch Erhaltung oder die mesopotamische Suche nach göttlichen Zeichen im Inneren von Tieren? Lass es mich in den Kommentaren wissen und like den Beitrag, wenn er dir gefallen hat!


Springen wir weiter ins antike Griechenland. Hier entwich die Seele, die Psyche, beim Tod wie ein Lufthauch und reiste in den Hades – ein ebenfalls eher schattenhaftes Reich, zumindest in den älteren Vorstellungen Homers. Entscheidend waren die korrekten Bestattungsriten, damit die Seele den Fluss Styx überqueren konnte (die berühmte Münze für den Fährmann Charon nicht vergessen!). Später entwickelten sich differenziertere Jenseitsvorstellungen mit einem Gericht und Orten wie dem Elysion für Helden oder dem Tartaros für Frevler. Mysterienkulte boten Hoffnung auf ein besseres Los, vielleicht durch Reinheit oder geheimes Wissen. Feuerbestattung war weit verbreitet, aber auch Erdbestattung gab es. Eine spezielle Behandlung von Organen? Nicht überliefert. Der Fokus lag klar auf dem Schicksal der Seele und – ganz wichtig – dem Gedenken durch die Lebenden. Unsterblichkeit erlangte man auch durch Ruhm und Erinnerung. Spannend wird es bei den Philosophen: Wo sitzt die Seele? Ist es das Herz, wie Aristoteles und die Stoiker meinten? Oder doch das Gehirn, wie Platon argumentierte, der sogar eine dreiteilige Seele postulierte (rational im Gehirn, muthaft im Herzen, begehrend in der Leber)?


Hier eine kleine Übersicht der griechischen Debatte:


  • Herz als Zentrum: Empedokles, Aristoteles, Stoiker, Epikureer

  • Gehirn als Zentrum (Vernunft): Alkmaion, Platon

  • Dreiteilige Seele (Platon): Rational (Gehirn), Muthaft (Thorax/Herz), Begehrend (Abdomen/Leber)


Diese Debatten, angestoßen auch durch erste anatomische Untersuchungen (zuerst an Tieren, später in Alexandria sogar an Menschen!), markieren einen Wandel hin zu einer abstrakteren, philosophischen Auseinandersetzung mit dem Selbst und dem Jenseits, weg von der rein rituellen Organerhaltung Ägyptens.


Und in Rom? Die Römer übernahmen viel von den Griechen und Etruskern. Sie glaubten an Totengeister (Manen), die durch Ehrung zu schützenden Ahnengeistern wurden. Das Jenseits war dem Hades ähnlich, aber die Betonung lag stark auf den korrekten Bestattungsriten und dem sozialen Status. Römische Beerdigungen konnten pompöse Angelegenheiten sein, besonders für die Oberschicht: Leichenzüge (Pompa funebris) mit Klageweibern, Musikern und sogar Schauspielern, die Masken der Ahnen (Imagines) trugen, zogen durch die Straßen. Gräber wurden oft entlang dieser Straßen angelegt – ein sichtbares Zeichen für den Ruhm der Familie. Hier diente die Behandlung des toten Körpers also auch stark der Repräsentation unter den Lebenden. Wiederum keine spezifische Organbehandlung, außer der aus Etrurien übernommenen Leberschau (Haruspizin) bei Tieropfern.


Anatomisch prägend wurde Galen, ein griechischer Arzt in Rom. Er führte zwar keine menschlichen Sektionen durch (ein Tabu!), aber durch unzählige Tiersektionen machte er wichtige Entdeckungen über Nerven, Blutgefäße und Organfunktionen. Allerdings übertrug er seine Erkenntnisse von Tieren auf Menschen, was zu Fehlern führte, die die Medizin für über tausend Jahre prägen sollten! Auch er übernahm Platons Idee der dreiteiligen Seele mit Sitz in Gehirn, Herz und Leber.


Einige Kernpunkte römischer Bestattungsrituale:


  1. Vorbereitung: Waschen, Salben, Einkleiden (Toga für Bürger), Münze in den Mund.

  2. Aufbahrung: Mit der Conclamatio (lautes Rufen des Namens).

  3. Leichenzug (Pompa funebris): Oft aufwendig mit Musik, Klagegesängen, Ahnenmasken.

  4. Leichenrede (Laudatio funebris): Auf dem Forum.

  5. Bestattung: Feuerbestattung (Urne) oder Körperbestattung (Sarkophag).

  6. Festmahl & Gedenken: Mahl am Grab (Silicernium), regelmäßige Opfergaben und Feste (Parentalia).


Wenn wir nun auf das Thema "Erneuerung" oder "Wiedergeburt" blicken, werden die Unterschiede noch deutlicher. Für die Ägypter war die Erhaltung der Organe, allen voran des Herzens, die direkte Voraussetzung für die individuelle Wiedergeburt im Binsengefilde. Der ganze Mumifizierungsprozess zielte darauf ab. In Mesopotamien gab es kaum Hoffnung auf einen positiven Neuanfang. In Griechenland und Rom waren Konzepte wie Seelenwanderung (Metempsychose) eher philosophische Nischenideen oder Teil von Mysterienkulten, aber nicht mit spezifischer Organbehandlung verbunden. Der Mainstream fokussierte auf die Reise der Seele ins Schattenreich und das Fortleben im Gedenken. Es zeigt sich: Was "Neuanfang" bedeutet, ist kulturell extrem unterschiedlich konstruiert! Wenn dich solche tiefen Einblicke in vergangene Welten genauso faszinieren wie mich, dann solltest du unbedingt unseren monatlichen Newsletter abonnieren! Das Formular findest du ganz oben auf der Seite – verpasse keine Entdeckungsreise mehr.



Eine ganz andere Wendung nahm die Geschichte der Organe im mittelalterlichen Europa mit dem Aufkommen des Christentums und dem Kult der Reliquien. Plötzlich wurden Körperteile von Heiligen – Knochen, Fleisch, Haare, manchmal auch Organe wie Herzen – zu Objekten intensivster Verehrung. Warum? Der Glaube dahinter war vielschichtig: Die Inkarnation Gottes hatte das Physische geheiligt, die Körper der Heiligen waren Tempel des Heiligen Geistes gewesen, und vor allem glaubte man an die Auferstehung des Fleisches am Jüngsten Tag. Reliquien waren ein greifbares Pfand dieser zukünftigen Auferstehung und eine direkte Verbindung zur Fürbittmacht der Heiligen im Himmel. Man glaubte sogar, dass ein winziges Fragment die volle Kraft des Heiligen enthielt (Pars Pro Toto).


Was waren typische Reliquien und wie wurden sie verehrt?


  • Primärreliquien: Körperteile von Heiligen (Knochen, Fleisch, Organe, Haare).

  • Sekundärreliquien: Gegenstände, die der Heilige berührt hatte (Kleidung, Werkzeuge).

  • Tertiärreliquien: Gegenstände, die eine Primär- oder Sekundärreliquie berührt hatten.

  • Verehrungspraxis: Pilgerfahrten zu Schreinen, Berühren/Küssen der Reliquien, Einsatz in der Liturgie (Pflicht in Altären!), Tragen in Prozessionen.

  • Reliquiare: Kunstvolle Behälter aus Gold, Silber, Elfenbein etc., oft in Form des enthaltenen Körperteils (Armreliquiar, Kopfreliquiar).


Diese Praxis, heilige Leiber zu zerstückeln und die Teile zu verteilen, steht in krassem Gegensatz zur ägyptischen Ganzkörpererhaltung für das individuelle Jenseits. Hier wurde der Körper des Heiligen zu einer Quelle teilbarer, heiliger Kraft für die Gemeinschaft der Lebenden. Reliquien machten das abstrakte Heilige greifbar, sichtbar, berührbar. Sie verliehen Kirchen und Klöstern enormes Prestige, zogen Pilgerströme (und damit Geld) an und waren manchmal sogar Zankapfel oder Diebesgut. Eine faszinierende Umnutzung des Körpers nach dem Tod!


Eine reich verzierte Reliquie in Form eines goldenen Unterarms mit erhobener Hand steht auf einem Altartuch im Zentrum eines gotischen Kirchenraums. Das Reliquiar ist mit Edelsteinen in Rot, Blau und Grün besetzt und kunstvoll graviert. Sanfte Lichtstrahlen fallen durch hohe Fenster, tanzen durch den Staub in der Luft und beleuchten das Objekt fast ehrfürchtig. Im Hintergrund sind steinerne Säulen und ein gotischer Altar zu erkennen – eine Szene von stiller Ehrfurcht und sakraler Pracht.
Mittelalterliche Reliquie in Form eines Arms

All diese unterschiedlichen Praktiken und Glaubensvorstellungen waren natürlich auch davon geprägt, wie viel (oder wie wenig) man über die tatsächliche Anatomie und Funktion des Körpers wusste. Die ägyptischen Einbalsamierer erlangten durch ihre Arbeit zwar praktische Kenntnisse, aber die Interpretation war rein theologisch: Das Gehirn war nutzlos, das Herz allesentscheidend. In Mesopotamien war das Wissen mangels Sektionen noch begrenzter, Organfunktionen wurden eher metaphorisch verstanden. Die Griechen begannen mit ersten systematischen Sektionen (in Alexandria), aber die philosophischen Debatten (Herz vs. Gehirn) dominierten oft die Interpretation. Galen in Rom machte Fortschritte durch Tiersektionen, aber seine auf Tiermodellen basierenden Schlussfolgerungen enthielten Fehler, die sich lange hielten. Erst in der Renaissance begann man durch erneute menschliche Sektionen (wie Vesalius) langsam, die alten Autoritäten zu hinterfragen und die Anatomie auf eine empirische Basis zu stellen. Es zeigt sich immer wieder: Wissen und Weltbild bedingen sich gegenseitig. Was man zu wissen glaubte, formte die metaphysischen Vorstellungen – und umgekehrt.


Lassen wir die Reise Revue passieren und vergleichen wir die Kulturen direkt:


Merkmal

Altes Ägypten

Mesopotamien

Antikes Griechenland

Antikes Rom

Mittelalter Christentum

Primäres Jenseitskonzept

Ewiges Leben/Wiedergeburt (Aaru)

Düstere Unterwelt (Irkalla)

Schattenhaftes Reich (Hades), Elysion

Unterwelt (Orcus), Ahnengeister (Manen)

Himmel/Hölle (Seele), Auferstehung (Körper)

Fokus Körperbehandlung

Erhaltung (Mumifizierung)

Bestattung (keine Konservierung)

Bestattung/Kremation (Riten wichtig)

Bestattung/Kremation (Riten wichtig)

Bestattung, Fokus auf Reliquien (Fragmente)

Schlüsselorgan(e) & Behandl.

Herz (im Körper), Lunge etc. (Kanopen/innen)

Keine spezifische Behandlung

Keine spezifische Behandlung

Keine spezifische Behandlung

Körperteile als Reliquien

Schlüsselorgan-Symbolik

Herz (Seele, Gericht), Organe f. Jenseits

Leber (Seele, Divination), Herz (Intellekt)

Herz/Gehirn (Seelensitz-Debatte)

Herz (Vitalität), Leber (Emotion)

Körperteile als heilig, Kraftträger

Verbindung zu Erneuerung

Direkt: Organerhaltung = Voraussetzung

Kaum/Negativ

Indirekt: Mysterien, Philosophie

Indirekt: Mysterien, Ahnenkontinuität

Indirekt: Reliquien als Auferstehungspfand


Was für eine Bandbreite! Ägypten sticht mit seiner materiellen Fixierung auf den intakten Körper und die Organe als Bedingung für das individuelle ewige Leben absolut heraus. Andere antike Kulturen legten den Fokus mehr auf die Seele, das Schicksal im Diesseits oder das soziale Gedächtnis. Das Christentum wiederum verlagerte die Bedeutung auf die Seele und transformierte Körperteile zu gemeinschaftlichen Kraftquellen im Hinblick auf eine zukünftige, aber andersartige Auferstehung. Es sind fundamental unterschiedliche Antworten auf die Frage nach dem Verhältnis von Körper, Identität und dem, was nach dem Tod bleibt. Für noch mehr spannende Einblicke und Diskussionen folge uns doch auch auf unseren Social-Media-Kanälen:




Was nehmen wir also mit von dieser unglaublichen Reise durch die Zeit und die Kulturen? Dass unsere Organe weit mehr sind als nur biologische Apparate. Sie waren und sind Projektionsflächen für unsere tiefsten Ängste, Hoffnungen und Fragen angesichts der Sterblichkeit. Sie dienten als Metaphern für das Unsichtbare – für Seele, Gefühl, Verstand. Die Art, wie Gesellschaften mit den Organen ihrer Toten umgingen, ob sie sie bewahrten, verwarfen, deuteten oder verehrten, spiegelt ihre Kernüberzeugungen über den Kosmos, das Göttliche und das Wesen der menschlichen Existenz wider. Von den Kanopenkrügen Ägyptens über die Orakel-Lebern Mesopotamiens bis zu den Herzreliquien des Mittelalters – Organe waren immer Brücken zwischen dem Greifbaren und dem Ungreifbaren, zwischen dem Physischen und dem Metaphysischen. Sie erzählen uns Geschichten über das, was uns als Menschen im Innersten bewegt: die Suche nach Sinn, nach Kontinuität, nach einem Platz im großen Ganzen, selbst über den Tod hinaus. Eine wahrhaft faszinierende Geschichte, die noch lange nicht zu Ende erzählt ist.



Verwendete Quellen:


Überblick zur Mumifizierung in Ägypten: Eine Schritt-für-Schritt-Anleitung von MyLearning.


Ägyptische Mumien und Jenseitsglaube: Informationen vom Smithsonian Institution.


Konservierung der Seele im Jenseits (Ägypten): Blogbeitrag des ISU University Museums.


Tod und Jenseits im Alten Ägypten: Überblick von Britannica.


Jenseitsglaube im Alten Ägypten (Überblick): Zusammenfassung von EBSCO Research Starters.


Jenseitsglaube im Alten Ägypten (Wikipedia): Detaillierte Darstellung der Konzepte.


Rolle der inneren Organe bei der Mumifizierung: Erklärung des Carlos Museum.


Mumifizierungsprozess im Detail: Darstellung des Australian Museum.


Kanopenkrüge und ihre Bedeutung: Artikel des American Research Center in Egypt (ARCE).


Kanopenkrüge (Wikipedia): Umfassender Artikel zu Geschichte und Funktion.


Das Wiegen des Herzens: Artikel aus dem Journal of the American College of Cardiology (JACC) über die Bedeutung des Herzens.


Die Zeremonie des Herzenswägens: Erklärung vom Egypt Museum.


Hepatocentrismus (Leber als Zentrum): Historische Betrachtung aus PubMed Central (PMC).


Das Herz in der Antike: Artikel aus JACC über die Bedeutung des Herzens in verschiedenen Kulturen.


Geschichte der Seelenlokalisation (Wikipedia): Überblick über Theorien zum Sitz der Seele.


Tod und Jenseits in Mesopotamien: Überblick von Britannica.


Mesopotamische Religion und Jenseitsglaube: Artikel der World History Encyclopedia.


Mesopotamische Unterwelt (Wikipedia): Beschreibung der Jenseitsvorstellungen.


Kardiocentrismus in antiker Medizin: Artikel aus PMC über die Rolle des Herzens.


Haruspex (Leberschau) (Wikipedia): Artikel zur Divinationspraxis.


Tod, Bestattung und Jenseits im antiken Griechenland: Essay des Metropolitan Museum of Art.


Griechischer Jenseitsglaube: Analyse des College of Charleston.


Griechische Bestattungspraktiken (Wikipedia): Überblick über Rituale.


Geschichte der Anatomie (Wikipedia): Umfassender Artikel zur Entwicklung der Anatomie.


Galen (Wikipedia): Biografie und Werk des einflussreichen Arztes.


Römische Bestattungspraktiken (Wikipedia): Überblick über Rituale und Glaubensvorstellungen.


Reliquien und Reliquiare im mittelalterlichen Christentum: Essay des Metropolitan Museum of Art.


Reliquiare (Wikipedia): Artikel über die kunstvollen Behälter für Reliquien.


Bedeutung von Reliquien im Mittelalter: Artikel von Eamon Duffy in The New York Review of Books.

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