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Dauer-Cringe: Die Epidemie des neuen Schamgefühls

Autorenbild: Benjamin MetzigBenjamin Metzig
Illustration zum Thema "Die neue Scham": Eine Person sitzt mit gesenktem Kopf deprimiert auf dem Boden, umgeben von Versandkartons und einem Smartphone. Im düsteren Hintergrund sind stilisierte, beobachtende Augen und ein wütendes Emoji-Gesicht zu sehen. Der Text lautet: "Die neue Scham: Wenn Peinlichkeit zum Lebensgefühl wird".

Hey Leute, Hand aufs Herz: Kennt ihr dieses unterschwellige Gefühl, irgendwie... falsch zu sein? Nicht gut genug, nicht effizient genug, nicht nachhaltig genug, nicht *irgendwas* genug? Dieses leise Rauschen im Hintergrund des Alltags, das uns zuflüstert: „Puh, das war jetzt aber peinlich“, obwohl objektiv vielleicht gar nichts Schlimmes passiert ist? Falls ja, seid ihr nicht allein. Wir scheinen kollektiv in einer Art Dauer-Cringe-Modus zu stecken. Das Bild zu diesem Beitrag fängt das Gefühl ziemlich gut ein, finde ich: Jemand sitzt da, umgeben von Paketen (Online-Shopping lässt grüßen?), das Handy griffbereit, aber der Blick gesenkt, beobachtet von anonymen Augen und einem grimmigen Emoji. Willkommen im Zeitalter der „neuen Scham“.

Aber was ist das überhaupt, diese „neue Scham“? Ist das nicht einfach nur die gute alte Peinlichkeit, die wir alle kennen, seit wir damals in der Schule beim Referat gestottert haben? Jein. Klar, Scham als soziales Gefühl ist uralt und hat auch eine wichtige Funktion: Sie hilft uns, soziale Normen zu erkennen und uns in Gruppen einzufügen. Aber was wir heute erleben, fühlt sich anders an. Diffuser, ständiger, irgendwie existenzieller. Es ist weniger die Scham über eine konkrete moralische Verfehlung, sondern eher ein permanentes Gefühl der Unzulänglichkeit, das sich aus vielen kleinen Quellen speist – und oft von außen befeuert wird. Es ist die Peinlichkeit, die zum Lebensgefühl wird, wie es im Bild heißt.


Ein riesiger Treiber dieser neuen Scham ist, na klar, unser moderner Konsum. Schaut euch die Pakete im Bild an. Online-Shopping ist ja auch verdammt praktisch. Ein Klick, und zack, ist das neue Gadget, das trendige Shirt oder der fünfte unnötige Deko-Artikel unterwegs. Der kurze Dopamin-Kick bei der Bestellung und beim Auspacken – herrlich! Aber dann? Dann kommt oft der Kater. Die Scham über den eigenen Konsum. Habe ich das wirklich gebraucht? Produziert das nicht Unmengen an Müll? Unterstütze ich damit Ausbeutung in Billiglohnländern? Gleichzeitig sehen wir auf Instagram die perfekt nachhaltigen Minimalisten-Influencer, die uns vorleben, wie man angeblich ohne Verzicht glücklich und öko-korrekt lebt. Dieser Spagat zwischen Wunsch und Wirklichkeit, zwischen Bequemlichkeit und schlechtem Gewissen – das ist Nährboden für die neue Scham.


Und dann ist da natürlich das digitale Dauerfeuer, symbolisiert durch das Handy und die wachsamen Augen im Bild. Social Media ist eine Vergleichsmaschine par excellence. Wir scrollen durch perfekt kuratierte Leben: Traumurlaube, fitte Körper, glückliche Beziehungen, berufliche Erfolge. Selbst wenn wir *wissen*, dass das nur die halbe Wahrheit ist, nagt der Vergleich an uns. FOMO (Fear Of Missing Out) ist ja schon fast ein alter Hut. Mittlerweile geht es eher um ein Gefühl des permanenten „Nicht-Genügens“. Wir fühlen uns unter Druck gesetzt, mithalten zu müssen, selbst ständig zu performen, das eigene Leben als makellose Erfolgsstory zu präsentieren. Und wehe, es gibt eine Delle im Lack – ein unvorteilhaftes Foto, eine unpopuläre Meinung, ein Moment der Schwäche. Die Angst vor dem digitalen Pranger, vor dem Shitstorm, vor dem simplen „Gecanceltwerden“ ist real und fördert eine Kultur der Vorsicht und Selbstzensur, die wiederum in Scham münden kann, wenn man doch mal „aus der Reihe tanzt“.

Psychologisch betrachtet ist das ziemlich perfide. Unser Gehirn ist evolutionär darauf gepolt, soziale Ablehnung zu vermeiden. Scham war mal ein wichtiges Signal: „Achtung, du gefährdest deinen Platz in der Gruppe!“ Heute wird dieser Mechanismus aber quasi gekapert. Statt um echtes Fehlverhalten geht es oft um konstruierte Ideale und Normen, die uns von Algorithmen und Werbeindustrie vorgegaukelt werden. Wir geraten in kognitive Dissonanzen: Wir wollen gut sein (umweltbewusst, sozial, erfolgreich), aber unser Alltag und die Verlockungen der modernen Welt machen es uns schwer. Dieses Spannungsfeld erzeugt Stress und eben jenes diffuse Schamgefühl.


Diese neue Scham beschränkt sich aber nicht nur auf Konsum und Social Media. Denkt mal an den Druck in der Arbeitswelt: „Hustle Culture“, ständige Erreichbarkeit, Selbstoptimierungswahn. Wer nicht permanent busy ist und an sich arbeitet, fühlt sich schnell faul oder unproduktiv – wieder eine Form der Scham. Oder die Informationsflut: Wer kann heute noch bei allem mitreden? Wer versteht alle globalen Krisen? Das Gefühl, den Überblick zu verlieren und „dumm“ dazustehen, kann ebenfalls Scham auslösen. Es ist, als hätte sich ein Netz aus Erwartungen über unseren Alltag gelegt, in dem wir ständig zappeln und fürchten, nicht zu genügen.


Ist das jetzt alles nur Mimimi einer überprivilegierten Gesellschaft? Teilweise vielleicht. Aber die psychische Belastung ist real. Diese ständige Selbstbeobachtung und das Gefühl, bewertet zu werden (die Augen im Bild!), laugen aus. Es ist auch eine ethische Frage: Wer profitiert davon, dass wir uns so fühlen? Oft sind es genau die Plattformen und Unternehmen, die uns erst die unrealistischen Ideale verkaufen und dann die vermeintlichen Lösungen für unsere „Defizite“ anbieten – sei es die nächste Diät-App, der noch schnellere Lieferdienst oder der Online-Kurs zur Selbstoptimierung. Ein Teufelskreis.



Was also tun? Eine Patentlösung gibt’s natürlich nicht (sorry!). Aber vielleicht hilft es schon, sich diese Mechanismen bewusst zu machen. Zu erkennen: Hey, dieses Gefühl wird auch *gemacht*. Es ist nicht immer nur meine persönliche Unzulänglichkeit. Ein bisschen mehr Medienkompetenz und kritisches Denken schaden nie. Sich selbst mit etwas mehr Nachsicht zu begegnen – Stichwort Self-Compassion – kann auch helfen. Niemand ist perfekt, und das ist verdammt nochmal okay so! Vielleicht öfter mal das Handy weglegen, bewusst konsumieren (oder eben nicht) und sich auf echte, unperfekte Begegnungen konzentrieren?


Die neue Scham ist ein komplexes Phänomen, verwoben mit Technologie, Kapitalismus und unserer menschlichen Psyche. Sie ist wie ein ständiger Begleiter, mal lauter, mal leiser. Aber wir müssen ihr nicht die volle Kontrolle überlassen. Vielleicht ist der erste Schritt, einfach mal darüber zu reden – ohne Scham, versteht sich. Oder zumindest mal kurz innehalten und dem grimmigen Emoji im Kopf freundlich zuzwinkern und sagen: „Chill mal, Leben ist kein Wettbewerb.“


Was meint ihr dazu? Kennt ihr dieses Gefühl? Woher kommt eure persönliche „neue Scham“? Lasst es uns in den Kommentaren wissen – ganz ohne Cringe-Gefahr, versprochen!

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