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Boltzmann-Gehirn

Physikalische Gedankenexperimente

Ein Gehirn liegt gemütlich mit Decke und Kaffeetasse auf einem Sofa im dunklen Nichts. Umgeben ist es von zart leuchtenden Erinnerungsblasen – Kindheit, Strand, Buch – die langsam zerplatzen.

Stell dir vor, du bist ein denkendes Wesen. (Klappt schon mal gut, du liest ja gerade diesen Text.) Jetzt stell dir vor, du bist nur ein einzelnes Gehirn – ohne Körper – das spontan irgendwo im Universum entsteht, inklusive all deiner Erinnerungen, deines Selbstbewusstseins und dem Gefühl, du würdest gerade in einem Raum sitzen und diesen Text lesen. Verrückt? Willkommen im Universum des Boltzmann-Gehirns.


Das sogenannte Boltzmann-Gehirn ist ein Gedankenexperiment, das aus einem kleinen Nebenproblem der Thermodynamik ein kosmologisches Hirnchaos macht. Benannt ist es nach dem österreichischen Physiker Ludwig Boltzmann, der sich im 19. Jahrhundert viele Gedanken über Ordnung, Chaos und die Richtung der Zeit gemacht hat. Er entwickelte die statistische Mechanik – also die Idee, dass physikalische Zustände nicht absolut, sondern wahrscheinlichkeitstechnisch gedacht werden können.


In einem Universum, das nach und nach in den Wärmetod trudelt – wo alles irgendwann gleichmäßig verteilt und langweilig wird – sind lokale Fluktuationen immer noch möglich. Das heißt: Es könnte zufällig mal irgendwo eine kleine Blase mit niedriger Entropie entstehen – ein geordneter Zustand mitten im Chaos. Die Wahrscheinlichkeit ist winzig – aber sie ist nicht null.


Jetzt der Clou: Die Entstehung unseres gesamten Universums ist extrem unwahrscheinlich. Aber ein einzelnes Gehirn, das einfach zufällig im Chaos auftaucht – komplett mit Erinnerungen an ein ganzes Leben, an Frühstückskaffee und Steuererklärungen – ist statistisch viel wahrscheinlicher.


Das führt zu einer schrägen Konsequenz: Wenn das Universum wirklich ewig alt und groß ist, dann müssten viel mehr Boltzmann-Gehirne existieren als echte Menschen. Und die logische (und verstörende) Frage lautet:


Was, wenn du gerade ein Boltzmann-Gehirn bist?
Was, wenn alles, was du für real hältst, nur eine spontane Quantenfluktuation ist, die gleich wieder verpufft?

Tief durchatmen.


Zum Glück sind sich die meisten Physiker*innen einig: Das Boltzmann-Gehirn ist zwar ein tolles Gedankenexperiment, aber keine befriedigende Erklärung für die Realität. Denn wenn das Universum so wäre, dass Boltzmann-Gehirne häufiger sind als echte Beobachter – dann wären unsere Beobachtungen total unzuverlässig. Und das wäre wiederum ein Hinweis darauf, dass unser Modell vom Universum falsch sein muss.


Also: Höchstwahrscheinlich bist du echt. Wahrscheinlich. Ziemlich sicher. Vielleicht.

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